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Change your mind

Manchmal sind unsere Emotionen so stark, dass wir ihnen schlicht ausgeliefert sind. In solchen Situationen, die meist einen Bereich betreffen, den wir noch nicht ausreichend unter die Lupe genommen haben, oder wenn wir grundsätzlich noch nicht angefangen haben, uns selbst zu hinterfragen, dann sind wir buchstäblich diesen übersprudelnden Emotionen ausgesetzt. Wir sind Wut, wir sind Neid, wir sind Ablehnung; wir sind auch Glück, Harmonie und Dankbarkeit. Wir hinterfragen nur selten unsere positiven Gefühle. Warum auch? Schöne Gefühle wollen wir. Manchmal wollen wir sie so sehr, dass wir alles tun, um sie festzuhalten. Mit allen Mitteln! Das führt dazu, dass aus der Zuneigung zu einem Menschen Wut wird, weil der Mensch uns gerade nicht geben kann, was wir wollen/brauchen. Und schon wird aus einem positiv empfundenen Gefühl etwas Schlechtes. Das kann man dann als das Problem der Anhaftung bezeichnen. Genau darum ist es gut, dass wir auch unsere positiv empfundenen Gefühle hinterfragen. Sie sind letztendlich genauso Projektionen wie unsere negativ empfundenen Gefühle, wenn es zum Beispiel darum geht, dass ein anderer Mensch bestimmte Gefühle in uns auslöst. Er/Sie ist der/die Tollste, Beste und so weiter, "denn dieser Mensch macht mich unendlich glücklich". Das Ganze bitte dann auch andersherum betrachten im Sinne von unglücklichen Gefühlen, dann ist der andere Mensch schuld an unserem Leid und wird von seinem Thron gestoßen, auf den wir ihn zuvor gesetzt haben. Und in dem Moment, in dem wir einem Menschen die Macht geben, uns glücklich zu machen, geben wir ihm auch die Macht, uns unglücklich zu machen. Und schon beginnt der Teufelskreis. Wir sind in diesem Moment übrigens nicht in unserer vollen Selbstverantwortung, aber das nur nebenbei.

Als ich 2013 angefangen habe, mich mit der Yoga-Philosophie und ihrer Praxis zu beschäftigen, kam ich recht schnell zu dem Punkt, an dem es um das Loslassen ging. Ich las in verschiedenen Texten, dass man alle Gefühle/alles loslassen soll, so verstand ich es zumindest am Anfang. Es heißt aber nicht, dass man sich von ihnen trennen soll. Gemeint ist, Loslassen auch im Sinne von Annahme und Akzeptanz, was mir zu dem Zeitpunkt aber noch nicht klar war. Und da stellte sich mir die Frage: "Warum soll ich denn meine positiven Gefühle loslassen?". Die Negativen, klar, die wollen wir natürlich nicht fühlen, und vor allem wollen wir uns damit nicht identifizieren, aber die positiven Gefühle, die wollte ich fühlen und ich wollte sie sein. Ich wollte eine glückliche, immer positive, starke, selbstbewusste Frau sein, die immer eine Lösung parat hat, die das Leben entspannt und im Flow lebt und mit allen Konflikten klar kommt. Das führte dazu, dass ich versuchte, Konflikte auf eine seltsame Weise zu vermeiden, was nicht bedeutete, dass ich konfliktscheu war, ganz im Gegenteil. Es hat dadurch dann dummerweise dazu geführt, dass aus Situationen erst Konflikte wurden, da ich in eine Art Widerstand ging und dieser verursachte dann erst das Leid und den Schmerz. Genau das erklärte mir damals mein Yogalehrer, als ich ihn fragte, warum ich denn nicht an meinen positiven Gefühlen festhalten sollte. Wenn du deine negativen Gefühle versuchst wegzudrücken, zum Beispiel indem du an den positiven festhältst, dann werden sie erst recht zur Quelle deines Leidens, denn alles, das sich zeigt, ist sowieso schon da, ob du das willst oder nicht, und nichts kann langfristig ignoriert werden, ohne einen größeren Schaden zu verursachen. Manche Themen, die wir haben, sind allerdings so schmerzhaft, dass wir uns nicht einmal bewusst darüber sind, dass wir da etwas wegdrücken. Das hat unter anderem auch etwas mit dem Selbstbild zu tun, das wir von uns haben, und an das oft ein Gefühl der Existenz geknüpft ist, das wiederum eine Verbindung bis in die frühe Kindheit haben kann, in der es um unser Überleben ging. Es ist ziemlich komplex, wie du siehst, und es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme. Aber du machst einen guten Anfang, wenn du Schritt für Schritt anfängst, dich zu reflektieren, deine gesamte Gefühlspalette zu beobachten, immer und immer wieder. Du entblätterst nach und nach deine schwierigen und schädlichen Muster, um Stück für Stück zu deinem wahren Wesenskern vorzudringen, der allerdings auch beinhaltet, alles anzunehmen, was du in deiner Gesamtheit bist. Es ist ein Prozess, ein lebenslanger. Und wenn du jetzt denkst: "Puh! Das ist mir viel zu anstrengend.", dann kannst du natürlich auch alles so lassen, wie es ist, aber ich vermute mal, wenn du das wolltest, dann würdest du diesen Text gerade nicht lesen. ;-)

 

Also, zurück zum Text. Durch das Beobachten deiner Gefühle bekommst du einen gewissen Abstand und kannst auch hier und da anfangen zu entscheiden, nicht auf jede Emotion bzw. jeden Impuls, den eine Emotion hervorruft, gleich reagieren zu müssen. Kommt ein Gefühl des Glücks oder Unglücks, setz dich einfach mal eine Weile hin und spüre in das Gefühl hinein. Wo im Körper spürst du es, mit welchen Gedanken und Bildern ist es verknüpft, welche Impulse bringt es mit sich, möchtest du jemanden anrufen, irgendwo hinfahren, etwas kaputt machen, Süßigkeiten in dich hineinstopfen etc. Mehr musst du gar nicht tun. Anschließend kannst du dem Gefühl und den Impulsen, die es mit sich bringt, einfach nachgeben oder auch nicht. Aber genau dieser Prozess führt dazu, dass du eine bewusste Entscheidung treffen kannst. Mit negativ empfundenen Gefühlen ist das schwieriger, denn zum einen ist der Drang dahinter oft größer, einem Impuls nachzugeben, da ein gewisser Leidensdruck damit verknüpft ist, der das Leid schnellstmöglich beenden will und es unter Umständen auch mit einer ordentlichen Portionen Adrenalin einhergeht, zum Beispiel bei Wut oder Angst. Versuche aber beide Seiten als gleichgewichtig zu betrachten, wie in einer Waagschale, bei der du weißt, dass beide Seiten letztendlich ausgeglichen sein müssen, damit du es bist, auch wenn es sich sicher nicht immer so anfühlen mag. Sieh es (erst mal) einfach als Übung, in der es nicht darum geht, etwas zu verändern, etwas besser zu machen, denn dann wirst du schnell ein Gefühl von Versagen in dir erschaffen und es geht hier nicht darum, etwas zu verbessern oder zu optimieren, wie wir das ja heute alle wollen. Das Schöne ist bei dieser Form, man nennt es auch Achtsamkeit, dass sich über kurz oder lang der gewünschte Effekt von ganz alleine einstellt. Dein Ziel ist es nur, im gegenwärtigen Moment etwas zu beobachten. Dorthin solltest du immer wieder zurückkehren. Also, ein bisschen Disziplin ist nötig, nach einer Weile wird es aber ein Teil deiner Alltagsstruktur. Hab Vertrauen und bleib dran und beurteile dich nicht, wenn es nicht gleich so läuft, wie du es dir wünschst. Beobachte auch hier die Gefühle von Erfolg und Misserfolg, nimm sie einfach nur zur Kenntnis.

Nimm dir ein paar Minuten am Tag, in denen du dich ganz bewusst selbst beobachtest, und/oder versuche dich zu erinnern, wenn intensive Gefühle in dir auftauchen. Dann denke an diese Worte, setz dich einen Moment hin und spüre. Akzeptiere, was da ist, nimm es liebevoll an. All das ist in dir. Und dann lasse den Moment los und erfahre den nächsten.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Wolfgang (Samstag, 30 Juli 2022 11:55)

    Sehr treffend, darum geht es!